Für Bend ist der Titel eine Art Feuertaufe. War der Entwickler zu Zeiten der allerersten PlayStation bereits mit Syphon Filter in AAA-Gefilden unterwegs, so wurde aus dem Team bald ein Experte vornehmlich für Spiele auf Sonys Handhelds. Games wie Resistance: Retribution und Uncharted: Golden Abyss überzeugten als portable Abenteuer mit hohen Production Values. Aber ein ausgewachsenes Konsolen-Epos ist nochmal eine andere Klasse, und Days Gone der erste Big-Budget-Vertreter seit Ewigkeiten für das Studio. Kann man mit den etablierten Hit-Lieferanten von Naughty Dog, Sony Santa Monica und Guerilla mithalten?
In dieser Situation sind Deacon und sein Kumpel Boozer, vor der Apokalypse Kameraden in der Motorradgruppe „Mongrels“, auf sich gestellt unterwegs. Die beiden Freunde durchstreifen auf ihren Bikes die Wälder von Oregon und verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Kopfgeldmissionen, rauben aber weder Schwache aus, noch wollen sie sich einem Camp anschließen. Ihr Plan ist, die Gegend demnächst zu verlassen und im Norden ihr Glück zu suchen. Dieses Vorhaben wird zunichtegemacht, als eines schicksalhaften Tages Boozer in die Fänge eines üblen Kults gerät und aufgrund schwerer Verletzungen mit dem Tode ringt. Zu allem Überfluss wird auch noch Deacons fahrbarer Untersatz gestohlen. Also gilt es für unseren Helden, ein klappriges neues Bike zu beschaffen und aufzumöbeln sowie Boozer gesund zu pflegen, bevor man endlich die Region hinter sich lassen und irgendwo neu anfangen kann. Allerdings gibt es bald Anzeichen, dass Deacons Ehefrau Sarah doch nicht beim Ausbruch der Seuche umgekommen sein muss, sondern noch leben könnte…
Diese Vertrautheit kann Vor- und Nachteile haben. Einen Originalitätspreis verdient Bend damit sicher nicht, allerdings sind alles populäre Elemente. Und man dachte sich vermutlich „besser gut geklaut, als schlecht erfunden“.
Eigenheiten von Days Go
Wer nachts unterwegs ist, der wird überall auf den Straßen vereinzelt herumstreunende Monster treffen. Im Laufe der Zeit gesellen sich zu den Standard Freaks stärkere Varianten. Tagsüber begegnet man wesentlich weniger Untoten, dafür mehr bewaffneten Menschen. Definitiv die angenehmere Version. Auch Wölfe, Bären und Berglöwen machen die in Trümmern liegende Welt unsicher.
Die Reise auf dem Motorrad nimmt Zeit in Anspruch und verbraucht eine Menge Benzin. Das Bike aufzurüsten ist eine Methode, um dem Herr zu werden (und einige anspruchsvolle Verfolgungsjagden zu meistern). Auf die Dauer sollte der Spieler aber unbedingt Schnellreisepunkte freispielen. Banditenlager warten auf Eroberung und bieten neben einem Schlafplatz auch immer einen Kanister Treibstoff. Ebenso sind alte Forschungsanlagen der NERO-Wissenschaftler, die den Ausbruch der Seuche erforschten, für solche Zwecke nutzbar.
Problem: Die Zutaten für solche Molotov-Cocktails und viele andere Objekte können nicht käuflich erworben, sondern müssen unterwegs gefunden werden. Vom mit Nägeln und Sägeblättern gespickten Baseballschläger über Rohrbomben bis hin zu Napalmflaschen kann so allerhand gebastelt werden.
Gekämpft wird mit Schuss- und Nahkampfwaffen oder aus dem Hinterhalt. Feuerwaffen können jederzeit von besiegten Menschen aufgesammelt und verwendet werden. Dauerhaft im Besitz bleiben aber nur gekaufte Schießeisen. Wer schleicht, kann Gegner mit einem Stealth-Kill ausschalten, was sich vor allem bei größeren Gegnermengen anbietet. Im Nahkampf darf auch fröhlich geprügelt werden. Gerade dort sind jedoch bessere Waffen Marke Eigenbau unabdingbar. Zwar führt Deacon ein unzerbrechliches Messer im Stiefel bei sich, jedoch richtet dies nur sehr wenig Schaden an. Selbstgebaute Argumentationsverstärker haben eine begrenzte Haltbarkeit, man entledigt sich aber mit ihrer Hilfe ungewollter Aufmerksamkeit deutlich rascher.
Droht ein Schlaginstrument zu Bruch zu gehen, so kann es mit Schrott repariert werden, den Deacon praktischerweise aus verwaisten Autowracks sammelt.
Dank einer Funkverbindu
Nicht die gesamte Spielwelt ist von vorneherein erreichbar. Zunächst hat man nur Zugriff auf das Gebiet zweier Lager. Später öffnet sich der Weg zu einem Dritten, und danach der zu zwei weiteren. Erst im Post-Game aber kann man alle fünf Siedlungen gleichzeitig aufsuchen, das ganze Hauptspiel über werden die Wege teilweise storybedingt abgeschnitten.
Jedes der Camps im Spiel hat einen eigenen Vertrauenslevel und eine Währung, die durch das Erfüllen von Aufträgen oder das Abliefern von Freak-Ohren und Nahrungsmitteln erhöht werden können. Je höher das Vertrauen am jeweiligen Ortp, desto mehr bieten die dortigen Händler und Mechaniker feil. Dabei bietet jedes Camp ein anderes Sortiment, daher tut man gut daran, überall sein Ansehen zu steigern.
Wie es sich für ein Open-World-Game gehört, gibt es natürlich auch ein Skillsystem. Deacon wird mit Erfahrung für tote Gegner und erfüllte Missionen belohnt, und beim Level-up darf ein Skill aus einem von drei Bereichen erlernt werden. Lebensenergie, Ausdauer und Konzentration (letzteres zum Verlangsamen der Zeit beim Zielen mit der Waffe) werden durch Injektionen in NERO-Basen erhöht. Wie es der Zufall will haben die Forscher nämlich an jedem Standort genau eine Dosis einer Wunderdroge zurückgelassen.
Die Story um Deacon und seine Suche nach seiner totgeglaubten Frau ist nicht unbedingt die mitreißendste. Zumindest anfangs schleppt sich die Handlung dahin. Bis ich wirklich gespannt war, was als nächstes passieren würde, lag die Hälfte des Spiels bereits hinter mir. Diese langwierige Anlaufzeit ist in Kombination mit der mangelnden Originalität im Gameplay Days Gones Hauptproblem. Ohne fesselnde Geschichte hat man lange das Gefühl, sich durch absolut genretypische Beschäftigungen nach Schema F zu arbeiten. Der erzählerische Kontext sollte dies kaschieren, das gelingt jedoch erst nach vielen Stunden wirklich. Ab einem gewissen Punkt wollte ich wissen, wie es weiter geht … aber das hat gedauert.
Die Steuerung entspricht dem Standard für 3rd Person Games und funktioniert gut. Allerdings sind manche Buttons ungünstig doppelt besetzt. Mitunter möchte man etwas aufsammeln, steigt aber auf das zu nahstehende Bike oder sammelt eine Waffe auf, statt einen Leichnam zu durchsuchen.
Kommen wir zur Technik: Days Gone ist ein sehr gut aussehender Titel. Er basiert auf keiner proprietären Engine, sondern auf der Unreal Technologie. Die Landschaften sind schön in Szene gesetzt, und Wetterwechsel präsentieren dieselben Orte mal im strahlenden Sonnenschein, regennass oder verschneit. Die meiste Zeit läuft das Spiel dabei recht flüssig, gelegentliche Nachladeruckler und Framerateeinbrüche gerade in Camps stören aber den Gesamteindruck. Getestet wurde auf einer Standard PlayStation 4.
Zudem gibt es einen Bug, durch den ab und an detaillierte Texturen nicht korrekt geladen werden und man aus der Nähe die detailärmeren Varianten, welche eigentlich für den Blick aus der Ferne gedacht sind, vor sich hat. Auch die KI der Gegner hat beim Test einen Aussetzer gehabt, als eine Horde Freaks die Verfolgung abbrach, wie vor einer unsichtbaren Mauer stehenblieb und sich einer nach dem anderen aus unmittelbarer Nähe abschießen ließ.
Insgesamt vermag die Welt von Days Gone nicht ganz so zu begeistern wie die von Horizon. Teilweise mag das an den realistischeren Landschaften basierend auf dem realen Vorbild liegen, und am Setting nach der Zombie-Apokalypse. Dieses Oregon ist naturgemäß von vielen baufälligen Gebäuden, gerissenem Asphalt und kaputten Autos geprägt und kann einfach nicht mit besonders phantasievollen Locations aufwarten.
Die deutsche Synchronisation ist gut bis sehr gut. Die Sprecher machen ihre Aufgabe alle hervorragend, aber ein paar merkwürdige Kleinigkeiten gibt es. So reagiert Deacon auf eine Radiosendung immer schreiend, selbst ohne Motorengeräusche. Manche NPCs sind zu leise.
Days Gone ist verglichen mit den anderen 1st Party Hochkarätern von Sony in den letzten Jahren nicht ganz so perfekt, aber immer noch ein gutes Spiel. Technisch hochwertig, spielerisch unoriginell aber voller erprobter und beliebter Elemente bietet es umfangreiche Open-World-Kost für alle, die sich gerne in solchen virtuellen Welten verlieren. In einem innerhalb der Story angeteaserten möglichen Sequel könnten Bend sicher noch den notwendigen Feinschliff walten lassen. Aber schon so ist Days Gone gute Kost für Genrefans.