Die Red-Dead-Reihe ist ein merkwürdiges Biest. Als Wild-West-Alternative zum hauseigenen Grand Theft Auto gesehen, bot Red Dead Redemption so etwas wie einen anderen Anstrich eines sehr ähnlichen Spielkonzeptes: Pferde klauen und Missionen in einer offenen Welt Abenteuer erleben. Aber RDR hob sich durch den starken Fokus auf Story und Atmosphäre doch von GTA ab und wurde ein Kultspiel abseits vom großen Bruder. Und zwei Kleinigkeiten unterschieden RDR zusätzlich von GTA: Erstens erschien das Spiel als einziger Rockstar-Titel exklusiv für Konsolen. Eine ungewöhnliche Entscheidung für einen 3rd-Party-Publisher zu einer Zeit, als mehr und mehr auf PC-Ports gesetzt wurde. Aber eine Idee, welche man entgegen vieler Erwartungen einer späteren PC-Umsetzung bis heute treu blieb. Und die auch für das Sequel beibehalten wurde.
Die zweite Merkwürdigkeit ist, dass Red Dead ursprünglich kein Rockstar Franchise war. In der Tat ist Red Dead Redemption 2 im Prinzip der dritte Teil der Serie. Red Dead Revolver entstand anfangs von Angel Studios Inc. als Titel für Capcom. Erst als dieser das Interesse verlor und das Entwicklungsstudio von Rockstar übernommen und in Rockstar San Diego umbenannt wurde, kam das Projekt dort zu neuem Leben. Es sollte ein eher wenig bekanntes Spiel für den Erfolgs-Publisher werden, wohlmöglich ein Grund, warum der Erstling heute ignoriert wird. Freilich hatte Revolver mit dem Open World Gameplay der Sequels auch wenig gemein. Bereits als Red Dead Redemption erschien, verstanden viele dieses als Beginn einer vollkommen neuen Serie.
Doch wo die Bande auch hingeht, sie kann dem langen Arm des Gesetzes scheinbar nicht entgehen. Am Anfang des Spiels kämpfen sich die Rauhbeine gerade durch einen Schneesturm, auf der Flucht und ohne das Geld aus dem letzten großen Coup. Ein sich wiederholendes Muster: Das ganze Abenteuer hindurch erlebt der Spieler, wie sich die Schurken an einem neuen Ort niederlassen, neue Verbrechen planen und überlegen, wie und wohin sie fliehen und Frieden finden können. Immer angefeuert durch den Träumer Dutch und seine großen Ideen. Dabei wird immer deutlicher, dass die Zeiten, in denen man sich in den riesigen Weiten der USA in Luft auflösen und ewig verschwinden konnte vorbei sind und alles was bleibt immer schwerere Verluste sind. Die ganz großen Dinger gehen daneben. Kameraden sterben. Die Staatsbeauftragten werden unerbittlicher. Die Bande wird in die Enge getrieben und hat kaum mehr Optionen. Von Staat zu Staat und Versteck zu Versteck getrieben wachsen die Spannungen in der ehemals engen Gemeinschaft. Die romantischen Vorstellungen von ihrer Bande wanken im Angesicht immer radikalerer Verbrechen, und das Vertrauen in Dutch sinkt. Der Spieler ist direkt in der Mitte und beginnt, moralisch und pragmatisch den Sinn hinter all dem zu hinterfragen. Ist die Situation zu retten? Kann man die Freiheit noch gewinnen? Wo endet Loyalität?
Die Story ist gut und spannend, wenn sie erst mal in Fahrt kommt. Das dauert allerdings vergleichsweise lang. In den ersten Kapiteln sind die Rückschläge der Bande noch nicht all zu dramatisch, und es kommt eher das Gefühl eines lockeren Banditenlebens auf. Erst später spitzt sich die Haupthandlung zu und wird wirklich spannend. Dazu trägt sicher auch bei, dass anders als beim letzten Abenteuer der Fokus nicht so klar auf einer Person liegt. Zwar verfolgt man das Geschehen durch Arthurs Augen, und er macht eine starke Entwicklung durch. Aber die Bandenmitglieder sind teils ähnlich zentrale Bestandteile der Handlung. In gewisser Weise ist Dutch, obwohl nicht spielbar, für die Geschichte der wirklich zentrale Charakter und man selbst nur eine rechte Hand. Das ist nicht unbedingt schlecht und die Wirkung entfaltet sich später, doch die direkte Identifikation und Spannung, die man als Einzelkämpfer hatte, besteht erst mal nicht. RDR2 bietet eine Story, die sich viel Zeit lässt.
Spielerisch bietet Red Dead Redemption 2 alles, was der Vorgänger auszeichnete, nur größer und besser. Es bleibt dabei dem Spieler überlassen, ob er die riesige Spielwelt frei erkunden, Nebenbeschäftigungen nachgehen, fremde Personen für Nebenhandlungen kennenlernen oder für die Hauptstory Missionen für die Bande erfüllen möchte. Verfügbare Hauptmissionen sind dabei auf der Karte jederzeit gelb markiert; optionale Aufgaben dagegen weiß. Zum Freischalten neuer Aufträge ist die Erfüllung bestimmter anderer erforderlich. Die Position von "fremden Personen", welche eigene, mehrere Missionen umspannende Handlungsbögen bieten, wird erst aus der Nähe ersichtlich. Das Herumreisen abseits der Story lohnt also.
Kopfgelder, das Erobern feindlicher Bandenverstecke, Einbrüche, das Jagen der 178 verschiedenen Tierarten, Angeln oder schlicht das Finden der zahllosen Geheimnisse können einen weit länger beschäftigen als die eigentliche Geschichte.
Merkwürdig und anachronistisch mutet manches Tabu an. Wurde man in Red Dead Redemption noch belohnt, weil man eine Prostituierte auf Bahngleise legte (auch wenn es keinen Geschlechtsverkehr gab), so fährt man diesmal den Sex noch weiter zurück. Waren sie früher zumindest überall zu sehen und sprachen einen an, so stehen sie jetzt dezent im Hintergrund und bieten nur belanglose Höflichkeiten. Das Äußerste ist ein Bad mit Helferin, mit der man dann einen völlig unverfänglichen Smalltalk komplett ohne Anzüglichkeiten halten darf. Der prüde Westen. Reitet man ins Indianerreservat, wird einem auch direkt ohne Erklärung das Ziehen einer Waffe untersagt. Nicht von Seiten eines NPCs, das Spiel blockiert schlicht das Waffenmenü. Das sind nur Kleinigkeiten, lassen aber auf eine ungewohnte Zaghaftigkeit von Rockstar schließen. Die Zeiten von Hot Coffee und empörenden Inhalten sind vermutlich vorbei.
Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Und bei RDR2 liegt dieser in der Steuerung und Menüführung. Die Menüs in Form von Rädern für den Schnellzugriff sind schwer überschaubar und unübersichtlich. Man hat ein Waffen, ein Gegenstands- und ein Pferde-Rad, welche mit L1 aufgerufen wird. Zum Markieren einer Kategorie wird jetzt der rechte Stick in die betreffende Richtung des Ringes gehalten, und mit L2 und R2 zwischen den verfügbaren Gegenständen gewechselt. Um diese dann auch noch wirklich zu verwenden oder auszurüsten, sollte der Stick weiter in die entsprechende Richtung gedrückt werden, bis man das Menü durch Loslassen der L1-Taste schließt. Zwischen Verbrauchsgegenständen, Waffen und den Pferdeobjekten wird mit R1 gewechselt. Es müssen also konstant drei bis vier Finger benutzt werden, für etwas Simples wie das Essen einer Büchse Bohnen
Zu allem Überfluss ist das nicht das einzige Inventar. Mit Druck auf die rechte Richtungstaste gelangt man in ein weiteres. Viele Gegenstände sind nur dort verwendbar, was die ganze Angelegenheit weiter verkompliziert. Im Rahmen sonst immer benutzerfreundlicher werdender Menüs in Games heutzutage ist diese völlig unintuitive Ansammlung von Fingerverrenkungen unentschuldbar. Schon vor 15 Jahren wäre so etwas nicht als »gut« bezeichnet worden. Es ist einfach völlig überladen und wäre mit einem klassischeren Menüsystem schneller und komfortabler zu bedienen gewesen. Kein Wunder also, dass Foren gefüllt sind mit Fragen zu Elementen wie dem Aufsetzen eines Hutes, welche im Prinzip die absoluten Basics sein sollten, die man nach 10 Minuten weiß.
Die Steuerung leidet ebenfalls unter Problemen. Egal welche Steuerungsmethode, der Charakter bewegt sich relativ behäbig und vor allem das Anvisieren verschiedener, dicht beieinanderstehender Objekte gestaltet sich schwierig. Bis zum Schluss gelang es mir nicht, alles einzusammeln, was mir als Belohnung auf meinen Beistelltisch oder aufs Bett gelegt wurde. Man kann theoretisch bei dicht beieinanderliegenden Objekten mit R1 umschalten, in der Praxis hat Arthur Morgan aber so einen Tunnelblick, dass es dennoch problematisch ist. Da er sich auch nicht fein nur ein Fitzelchen weit in Position rücken lässt, sondern direkt eine größere Drehung vollführt, werden solche Kleinigkeiten zu Geduldsspielen.
Die Mehrfachbelegung von Tasten ist ebenfalls ein Ärgernis. Zwar lassen sich verschiedene vorkonfigurierte Steuerungsschemata wählen, aber die eigentliche Belegung nicht verändern. So ist bspw. das Zielen mit der Waffe immer auf demselben Button wie das Anschauen von Leuten, um mit ihnen zu sprechen. Ist die Waffe gezogen, hält man jemandem den Revolver unter die Nase, ist sie im Halfter bekommt man mit derselben Taste die Option, freundlich zu grüßen. Wie oft es mir passiert ist, dass ich nach einer Rettungsaktion meinen noch gezückten Revolver nicht wahrnahm und das Opfer ansprechen nur wollte, kann ich nicht mehr zählen. Das Ergebnis ist dann statt einer Belohnung immer ein schreiend davonlaufender Mensch. Und von solchen Problemen liest man häufig bei Spielern. Wie so etwas im Laufe der Entwicklung niemandem aufgefallen sein kann, ist schleierhaft.
Dazu kommen noch Kleinigkeiten, wie das manchmal gescriptete langsam Gehen in manchen Sequenzen oder an bestimmten Orten. So etwas ist für ein cineastisches Abenteuer nicht ungewöhnlich, aber bei Red Dead Redemption 2 sind die Situationen teils schwer nachvollziehbar, in denen man nicht rennen darf
Red Dead Redemption 2 bietet einen unglaublichen Umfang, tolle Grafik, ein unverbrauchtes Setting und eine sehr lebendig wirkende offene Welt. Wer sich darauf einlässt, wird unweigerlich in den alten Westen gesogen. Allerdings schädigen Unzulänglichkeiten in Steuerung und Menüführung, mit denen so nicht zu rechnen war das Gesamtbild doch und können zu Frustration führen. Außerdem braucht die Story deutlich länger als beim Vorgänger, um in Fahrt zu kommen was bei einem Game diesen Umfangs viele Stunden ausmacht. Insgesamt ein tolles Erlebnis, das aber spielerisch unnötig gehandicapt wird.