The Order 1886 – Cineastisches Spektakel oder unterdurchschnittliches Spiel? im Test

Zuerst muss ich sagen: Wer sagt, das Spiel hätte eine maximale Spielzeit von gerade mal 4-5 Stunden, dem muss ich unterstellen, dass er nicht richtig gespielt hat. Ich habe mir keinerlei Gedanken um sammelbare Gegenstände gemacht und komme mit drei längeren Abendsessions von je 2-4 Stunden auf eine Spieldauer von ungefähr 7-11 Stunden, was ich für einen linearen Shooter mehr als in Ordnung finde. An der Spiellänge kann es also nicht liegen, dass der Titel so einen schlechten Ruf bekommen hat.

Woran liegt es also? Der Übeltäter ist schnell gefunden: Das Gameplay ist, wie schon gesagt, linear aufgebaut, wobei dem Spieler vom Game deutlich gemacht, »Du machst genau das, was wir wollen, wann wir es wollen!«. Du möchtest die coole Termit-Waffe jederzeit benutzen? Keine Chance. Man fühlt sich wirklich eingeschränkt bei seinen Möglichkeiten. In einer Szene kann ich mich einfach nicht zur nächsten Deckung bewegen, weil ich noch nicht jeden von den Entwicklern geplanten Gegner mit dem Snipergewehr getötet habe. Solche Momente sind unverständlich, da es keinen Unterschied macht, ob ich die Deckung zwei Meter weiter nutze oder in dieser verbleibe. Warum also darf ich das nicht selber entscheiden, liebe Programmierer?

 

Das bedeutet allerdings nicht, dass das Gameplay ein Totalausfall wäre. Natürlich gewinnt das Spiel dafür keinen Oscar, doch es ist actionlastig und hält den Gamer bei der Stange. Wenn man nicht zu viel erwartet, bietet einem der Titel gut inszenierte Standardkost: Deckungsballerei, Schleichmissionen und sogar einige, winzige Kletterpassagen. All diese Gameplayelemente dienen sowieso nur einem Zweck: Den Spieler durch die Handlung zu führen. Die Story ist dabei schön erzählt. Das Einzige, was mir hier wirklich fehlte, ist ein bisschen mehr Tiefgang bei den Charakteren. Ja, ich fühle mit dem Hauptcharakter mit und finde den einen oder anderen Nebencharakter interessant, wie zum Beispiel LaFayette oder Tesla. Doch werde ich viel zu wenig an diese abwechslungsreichen Figuren herangeführt.

Von der Story möchte ich an dieser Stelle kein Wort verlieren. Nur so viel sei gesagt: Sie ist gut inszeniert und hat mich zumindest motiviert, weiter zu spielen. Man könnte sagen, dass wir mit dem viktorianischen London klassisches Popcornkino serviert bekommen: Viel Action, wenige Pausen und einige Wendungen in der Handlung. Nichts Weltbewegendes, aber dafür unterhaltsam! Dazu trägt natürlich das Hauptaugenmerk des Spiels bei: die Grafik.

 

Falls ihr jemanden zeigen wollt, was die PS4 zu leisten imstande ist, dann ist The Order genau das Richtige! Kein anderes Spiel schien mir so vollkommen zu sein. Mir ist nicht ein einziger Clippingfehler oder anderer Grafikbug über den Fernseher geflattert. Dabei sieht das Spiel einfach nur wunderschön aus und läuft butterweich, auch wenn mehrere Effektgranaten auf dem Bildschirm explodieren. Leider lässt die Engine nur in wenigen Momenten ihre ganzen Muskeln spielen, da ihr viel in engen und dunklen Gängen unterwegs seid. Trotzdem zeigt The Order schön, in welche Richtung wir mit der aktuellen Konsolengeneration noch gehen können. Außerdem haben wir hier wohl den coolsten Schnurrbart der Videospielgeschichte! (Und ja, eingeschlossen ist ein kleiner, rottragender Klempner!)

Muss sich The Order also als Grafikblender einsortieren lassen, wie seinerzeit Cryteks Ryse? Ja und nein. Als reiner Blender kommt The Order einfach zu spät und hätte schon zum Release der PS4 mit dabei sein müssen! Ein klares Nein kann man allerdings ebenso wenig geben, da das Gameplay den Spieler teils viel zu stark einschränkt, obwohl es in diesen Momenten nicht der Story geschuldet sein kann. Was ist The Order also? Eine Grafikdemo? Ein interaktiver Film? Ein linearer Deckungsshooter? Ich denke, es ist von allem ein bisschen.

 

Wer dem Ganzen eine Chance gibt und sich einfach nur 8-12 Stunden unterhalten lassen möchte, der kann das beim einmaligen Durchspielen der Story tun. Und Sony Fanboys werden sich den Titel sowieso zulegen, um zu zeigen, was die PS4 kann! Und ja, sie kann eine Menge! Sollte es eine Fortsetzung geben, sollte auf der atemberaubenden Engine gerne aufgebaut und ein weitaus besseres Spiel gemacht werden, liebe Entwickler! Unterhalten und beeindruckt habt ihr mich schon, jetzt würde ich noch bitte gern aus den Socken gehauen werden, wie es bei einem Uncharted oder The Last of Us der Fall war. Sowohl Grundgerüst als auch Setting sowie Fortsetzungsmöglichkeiten gibt es ja, es kommt also nur darauf an, was ihr daraus macht.

Die Frage, ob die Kritik an The Order: 1886 gerechtfertigt sei, kann ich nicht beantworten. Ich denke, das Spiel kam einfach zur falschen Zeit heraus. Vor einem Jahr hätte dieses Game jeder gefeiert und in den Himmel gehoben. So bleibt nach vielen Verschiebungen zwar ein »Wow«-Effekt, aber nichts, was die Gamerwelt noch überhaupt nicht gesehen hätte.