
Die gute Nachricht gibt es vorweg: Genau wie bei vielen anderen RPG-Serien werden keinerlei Vorkenntnisse benötigt, um die Story genießen zu können. In einer langen Startsequenz werden die wichtigsten Figuren und die neue Fantasy-Welt ausführlich vorgestellt und so weiß dann jeder worum es geht. Lanzheim ist ein Land, das sich seit mehreren Jahren im Bürgerkrieg befindet. Seit die rechtmäßige Thronerbin Prinzessin Zephie von einer Horde Fieslingen aus ihrem Schloss verjagt wurde, kämpft sie gemeinsam mit den südlichen Streitkräften gegen die Armeen des Nordens, um die Schreckensherrschaft des Kronenräubers zu beenden. Zu Beginn der Spiels interessiert das alles den eigentlichen Protagonisten Juto herzlich wenig. Der arme Junge hat nicht nur sein Gedächtnis verloren, sondern leidet darüber hinaus auch noch an einem unerklärbaren Trauma, das ihn davon abhält ein echtes Schwert in die Hand zu nehmen. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für einen Helden in einem epischen RPG. Aber wenigstens lebt Juto auf einer paradiesischen Südseeinsel, die bisher vom Krieg verschont wurde und darüber hinaus auch noch die Heimat seiner Herzensdame ist. Natürlich nimmt das ruhige virtuelle Leben innerhalb der ersten Stunde Spielzeit einige dramatische Wendungen. Schicksalsschläge, Racheschwüre, geheimnisvolle Superkräfte und eine Welt voller Gefahren sorgen dafür, dass die Story trotz einiger Klischees durchaus interessant bleibt.
Was das Charakterdesign angeht, handelt es sich bei dem Game um einen typischen Vertreter der JRPG-Sparte. Diese Tatsache kann westliche Zocker durchaus verstören, denn die Hauptdarsteller treffen nicht unbedingt den Geschmack der breiten Masse. Selbst die älteren Helden und Bösewichte haben androgyn anmutende Kindergesichter und erinnern verdächtig an den Leadsänger von Tokio Hotel. Dass die Einwohnerinnen von Lanzheim allesamt mit anatomisch fragwürdigen Oberweiten und passenden Mini-Outfits über den Fernseher tänzeln, dürfte ebenfalls nicht jedem gefallen.

Die Kämpfe stehen bei MagnaCarta II ganz eindeutig im Vordergrund. Wie bei jedem Rollenspiel sind Monsterschlachten auch hier die beste Methode, um die Helden stärker zu machen und ihnen ein paar nette neue Spielzeuge zu verpassen. Im Gegensatz zum Vorgänger läuft diesmal fast alles in Echtzeit ab. Natürlich darf im Notfall immer noch ein Menü aufgerufen werden, um in aller Ruhe einen Heiltrank auszusuchen, doch das Kampfgeschehen selbst ist eindeutig actionreicher als bei den meisten anderen Genrevertretern. Etwas Timing und eine solide Taktik sind gefragt, wenn ein paar stärkere Gegner zum Tanz bitten. Reguläre Angriffe, Spezialaktionen und gelegentliche Konterattacken können problemlos aneinander gereiht werden. Anfangs ist es noch etwas verwirrend, dass sich die Helden sehr schnell müde prügeln können und anschließend längere Erholungspausen benötigen, in denen sie den Feinden hilflos ausgeliefert sind. Teamplay heißt das Zauberwort, mit dem sich dieses Problem umgehen lässt. Bis zu drei Figuren dürfen in den Kämpfen direkt gesteuert werden. Mit Hilfe des Steuerkreuzes ist es extrem schnell möglich, von einem Weltenretter zum nächsten zu springen. Gemeinsame Angriffe sind nicht nur stärker, sondern können bei korrekter Ausführung auch einen so genannten “Chain Break“ verursachen, was dafür sorgt, dass sich die erschöpften Charaktere sofort wieder erholen und weiter mitmischen dürfen. Recht häufig schließen sich auch computergesteuerte Abenteurer der Truppe an. Diese Mitstreiter sind dank der Möglichkeit, ein paar grundsätzliche Verhaltensregeln festzulegen, oft hilfreich.
Die Echtzeit-Kämpfe führen bei einigen Zockern fast gezwungenermaßen zu einem vorschnellen Urteil: Das Tastengedrücke ist einfach keine große Herausforderung für geübte Finger und deswegen ist das gesamte Game vollkommen missraten. So ein niederschmetterndes Fazit ist allerdings ziemlich unfair, denn MagnaCarta II wurde nie als Actionspiel angepriesen. Es ist und bleibt ein RPG und darum sollen die Kampfhandlungen auch leicht von der Hand gehen. Genügend Extras und gute Waffen dabei zu haben ist also deutlich wichtiger als schnelle Reflexe. Auch die Auswahl der richtigen Spezialmanöver und die Festlegung einer sinnvollen Reihenfolge in der die Charaktere agieren wird gefordert. Gerade nach ein paar Stunden tauchen regelmäßig Fieslinge auf, die zum Experimentieren einladen und oft dauert es eine Weile, bis die eigene Truppe siegreich vom Platz geht. Glücklicherweise sind genug Speicherpunkte vorhanden, so dass sich der Ärger in Grenzen hält.

Im Gegensatz zu den Gefechten ist es sehr schwer, sich mit dem linearen Spielablauf anzufreunden. Die Gegend darf zwar erkundet werden, nur bringen solche Ausflüge denkbar wenig. Zu viele schwächliche Monster bevölkern die Fantasy-Welt und somit wird das Aufleveln zur langweiligen Tortur. Viele Punkte und vernünftige Waffen gibt es ohnehin nur dann, wenn stumpf von einem Auftrag zur nächsten gewandert wird. Nebenmissionen und gelegentliche Mini-Games lockern das Ganze etwas auf, sind aber nicht so originell, dass sie den Ehrgeiz wecken und somit zum mehrfachen Absolvieren einladen.
Die überschaubare Anzahl interessanter Waffen und Gegenstände ist ein weiteres Manko. So kann jeder Charakter lediglich zwei Sorten von Kampfwerkzeugen benutzen und auch die Spezialfähigkeiten, die entwickelt werden können, sind fest vorgegeben. Da schnell klar ist, dass die guten Belohnungen nur am Ende einer storyrelevanten Mission warten, wird der Spaß am freien Erkunden nochmals eingeschränkt. Besonders Sammler und Bastler, die in Games wie PSO oder Diablo viel Freude daran hatten, jede Ecke zu durchsuchen und die Helden ganz nach ihren Wünschen zu entwickeln, werden hier schwer enttäuscht. Da weckt der für 400 MS-Points angebotene Download-Content, der neben neuen Zwischensequenzen zwölf exklusive Waffen beinhaltet, tatsächlich ein wenig wie Abzocke.

Eine der größten Stärken des Spiels entpuppt sich bei genauer Begutachtung als leichte Mogelpackung. Mit über 50 Stunden Spielzeit, die sich auf zwei Discs verteilen, ist MagnaCarta II genau die Sorte Spiel, die selbst erfahrenen Rollenspielern die Freudentränen in die Augen treiben. Doch obwohl das Game wirklich viel zu bieten hat, wirkt es oft künstlich in die Länge gezogen. Eine gute Story mit vielen Überraschungen ist vorhanden, doch die ewigen und oft belanglosen Dialoge sorgen zeitweise dafür, dass selbst lesefreudige Zocker das Interesse verlieren. Halb so viele Unterbrechungen des eigentlichen Spiels hätten völlig ausgereicht, um die Beziehungen zwischen den Charakteren zu klären. Doch Juto und seine Kameraden werden einfach nicht müde, sich in regelmäßigen Abständen über die gleichen Dinge zu streiten oder ihre individuellen Gründe für den Kampf gegen das Böse in epischen Reden klarzustellen. Da beschleicht den RPG-Freund schnell das Gefühl, dass die Macher von MagnaCarta II einen Vollidioten vor der Konsole vermuten, dem alles nicht nur ausführlich sondern auch noch dreifach erklärt werden muss. Gerade zu Beginn des Abenteuers nerven auch die langen Wanderungen durch die Landschaften von Lanzheim. Mehrfach kommt es zu minutenlangen Gewaltmärschen, nur um eine kurze Zwischensequenz zu sehen und anschließend die Helden wieder genau dahin zu bewegen, wo sie hergekommen sind. Diese Spaßverzögerungen werden zwar im weiteren Spielverlauf durch mehr Gegner aufgelockert, machen sich aber immer wieder bemerkbar.
Viel Zeit und Geld sind in dieses Spiel geflossen,,, das wird schon nach wenigen Minuten klar. Die zahlreichen und aufwändig in Szene gesetzten Zwischensequenzen müssen sich selbst vor dem Genre-Primus Final Fantasy nicht verstecken. Auch die Charakter-Modelle sowie die Umgebung hinterlassen einen soliden Eindruck. Die Texturen sind bis auf kleine Ausnahmen, wie dem extrem hässlichen und nicht animierten Wasser, gut gelungen. Das Gleiche gilt für die Kampfanimationen der steuerbaren Figuren. Da fällt es kaum ins Gewicht, dass nicht alle Gegner ebenso flüssig und effektvoll über den Bildschirm fegen wie unsere Helden. Gerade bei den Fieslingen sind außerdem große Qualitätsunterschiede feststellbar, was die Details angeht. Doch wenn ein besonders großer Obermotz die Kampfarena betritt und magische Attacken zum Einsatz kommen, gibt es praktisch immer ein paar optische Highlights. Es ist merkwürdig, dass keine PS3-Version geplant ist, wenn man bedenkt, dass die aktuelle Unreal 3 Grafikengine verwendet wurde und eine Portierung somit recht unkompliziert sein sollte. Ein “echter“ Exklusivtitel hätte wohl noch mehr aus der Hardware kitzeln können, aber das Ergebnis liegt ohnehin grafisch deutlich über dem Durchschnitt.

Bei der Verpflichtung der Sprecher wurden keine Fehler gemacht. So unnütz einige der Dialoge auch sein mögen, gut klingen sie eigentlich immer. Hier waren Profis am Werk, die praktisch jede gewünschte Gefühlsregung zum Ausdruck bringen können. Dass es keine deutsche Sprachausgabe gibt, sondern lediglich Untertitel eingeblendet werden, ist aufgrund des großen Umfangs verständlich. Die Soundeffekte sind zwar nicht auf dem höchsten Niveau und Wiederholungen machen sich sehr schnell bemerkbar, doch insgesamt erfüllen sie ihren Zweck. In Sachen Musik gibt es ebenfalls nur wenig zu meckern. Ruhige Szenen und Rückblicke werden mit zuckersüßen und eingängigen Melodien untermalt, die man von epischen Rollenspielen erwartet und wenn es actionreicher zugeht, sind die Songs dazu in der Lage, die gewünschte dramatische Atmosphäre herzustellen.

Wer asiatische RPGs mag und über kleinere Macken im Gameplay großzügig hinwegsehen kann, bekommt hier jede Menge Futter für die kalten Wintermonate. Ein Megahit, der uneingeschränkt empfohlen werden kann, ist MagnaCarta II leider nicht. Vor allem die langatmigen Dialoge und das etwas eigensinnige Kampfsystem werden viele Freunde des Genres abschrecken. Auch die geringe Anzahl an Items und die spärlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Spielfiguren machen es Jägern und Sammlern schwer, das Game in ihr Herz zu schließen. Was bleibt ist ein solides, ambitioniertes und aufwändig produziertes Rollenspiel, das gerade durch seinen Mut zur Andersartigkeit seine Fans finden wird.