
Es war gegen Ende der 70er Jahre, als auch bundesdeutsche Fantasy-Fans von der amerikanischen Rollenspielwelle erfasst wurden. Schon bald bildeten sich erste Gemeinschaften und Clubs, die sich den neuen Rollenspielsystemen wie Das Schwarze Auge, Dungeons & Dragons oder Call of Cthulhu verschrieben hatten. Bei diesen sogenannten „Pen & Paper Rollenspielen“ traf sich eine Schar begeisterter Fans bei angenehmen Ambiente und begab sich bewaffnet mit Snacks & Charakterbögen in eine fiktive Fantasy Welt, die den Regeln erwähnter Rollenspielwelten folgte.
Leider haben die Pen & Paper Rollenspiele aber auch einen entscheidenden Nachteil - man benötigt in der Regel mindestens drei oder mehr menschliche Spieler. Hier kamen schließlich die Abenteuer-Spielbücher in Spiel, die sich in den 80er Jahren anschickten auch den bundesdeutschen Markt zu erobern. Insbesondere die Fighting Fantasy Reihe der beiden Games Workshop Mitbegründer Ian Livingstone und Steve Jackson fand rasche Verbreitung, doch auch die aus der Feder von Joe Dever stammenden Einsamer Wolf Bände fanden dankbare Abnehmer.

Dies ändert sich jedoch, sobald man die im englischsprachigen Ausland als „game book“ bekannten Bücher aufschlägt: Statt Textklötzen ist das gesamte Buch in mehrere Hundert Abschnitte unterteilt. Vorne im Buch befinden sich die Regeln, die von Buch zu Buch leicht modifiziert werden, sowie den gedruckten Charakterbogen.
Wer wie der Autor dieser Zeilen seine Bücher nicht zukritzeln möchte, der greift zu zwei Blatt Papier: Auf dem Ersten wird das eigene „Interface“ aufgezeichnet, dass Auskunft über Lebenspunkte und sonstige Stats, Items und Zaubersprüche gibt. Das zweite Blatt Papier wird stilecht wie bei Dungeon-Crawlern der 80er zur Kartographie von Dungeons verwendet. Allerdings ist dies kein Muss, manchmal werden sogar (ungenaue) Karten im Buch mitgeliefert. Erforderlich ist noch ein Würfel, denn bei zahlreichen Entscheidungen oder Kämpfen entscheidet das Würfelglück maßgeblich über den Ausgang des Abenteuers.

So springt ihr querfeldein von Abschnitt zu Abschnitt und taucht in das Abenteuer ein. Wie in einem guten Rollenspiel werden Rätsel gelöst und Kämpfe ausgefochten. Thematisch ist die gesamte Palette abgedeckt: In „Das Schwert der Samurai“ das feudale Japan, das „Universum der Unendlichkeit“ lässt euch als Raumschiffkapitän das All erkunden, im „Duell der Piraten“ macht ihr eine Fantasy-Karibik unsicher und „Das Höllenhaus“ lässt Spieler ein gespenstisches Gruselhaus erforschen. Wer will, darf sich sogar im viktorianischen England als Sherlock Holmes auf die Socken machen.

Doch nicht verzagen: Zum einen bleibt der Gebrauchtmarkt, auf dem sich die Sammelbände mit mehreren Abenteuern in einem dicken Wälzer (sucht nach „Das große Abenteuer-Spielbuch Nr. X“) besonders häufig und günstig finden lassen. Zum anderen gibt es dann und wann immer wieder Neuerscheinungen! Wer sich dafür interessiert, findet beim Treffpunkt der Szene im Netz neben massig Infos und Gleichgesinnten auch einen speziellen Bereich für Kleinanzeigen.
Sollten alle Stricke reißen oder die Skepsis überwiegen, so lässt sich online ins Spielgeschehen hinein schnuppern. Nach meiner Erfahrung nicht dasselbe, aber kommt der Sache nahe. Auf Spielbuch.net warten zahlreiche von Hobby-Autoren verfasste Spielbücher, die ihr dort kostenlos spielen könnt. Wer will, kann nach etwas Erfahrung sogar selbst zum Autor werden und andere Abenteurer mit seinen Geschichten in fremde Gefilde entführen.
Persönliche Erinnerungen:
Keine Frage, auf der „Genial!“ Skala dieses Autors rangieren Abenteuer-Spielbücher knapp hinter Videospielen. Selten konnte man auch ohne Strom und Mitspieler so viel Spaß haben. Und von den Eltern wurde das Hobby auch noch gern bezuschusst („Endlich liest der Bub mal ein Buch!“). Die Verleitung zum „cheaten“ ist zwar auch hier allgegenwärtig („huch, der Würfel war aber kippe!“) aber wie immer muss man dies mit sich selbst ausmachen. Wer noch nie ein Abenteuer-Spielbuch erlebt hat, sollte sich dem Spielprinzip unbedingt einmal nähern - denn diese Retro-RPGs können auch 2011 noch richtig fesseln!