Shin Megami Tensei erreichte erstmals 2005 mit dem Titel Shin Megami Tensei III: Lucifer´s Call auf der PlayStation 2 europäische Gefilde. In Japan war die Serie da bereits eine Traditionsmarke, wo Teile der Hauptserie sowie Spin-offs für Systeme vom Famicom über das SNES und Game Gear bis hin zur PlayStation herauskamen. Die Hauptreihe hatte 2005 allerdings schon seit den 16-Bit-Zeiten geruht, weshalb der dritte Teil lange erwartet worden war.
Für deutsche Spieler war SMT III etwas Neuartiges; statt Fantasy oder Steampunk erwartete Rollenspieler hier ein Szenario im modernen Tokyo, statt ausgiebigem Städtebummel und Geplaudere mit Dorfbewohnern, drohten extrem verzweigte und komplexe Dungeons. Und statt der üblichen, bunten Heldentruppe bot SMT III Kämpfe an der Seite alptraumhafter Dämonen. SMT III war einfach ganz anders als andere JRPGs der Ära, und trotz der vollständigen (und sogar recht gelungenen) deutschen Übersetzung, gelang es Publisher Ghostlight nicht, dieses besondere Spiel an den Mann oder die Frau zu bringen.
Nun, im Fahrwasser des erfolgreicheren Spin-offs Persona, hat die SMT-Reihe endlich auch in Europa eine gewisse Popularität erreicht. Zeit, dem Klassiker, der damals scheiterte, eine neue Chance zu geben.
Welches Prinzip wird das Halbscheusal unterstützen? Eines dieser drei, oder gar keines? Hält man an seiner Menschlichkeit fest, oder nimmt man seine neue dämonische Natur an?
Diese Story führt zu einer sehr speziellen Atmosphäre. Die Ruinen Tokyos sind bevölkert von Dämonen und Seelen, mit denen man sprechen kann, aber noch viel mehr, welche einen angreifen und vernichtet werden müssen. Obwohl die Vortexwelt gerade erst entstanden ist, verhalten sich alle Wesen irgendwie abgeklärt, als sei das schon lange der Status Quo. Selbst die menschlichen Seelen wirken im Angesicht ihres kürzlichen Todes überraschend gelassen. Die ganze Stimmung der Welt ist unwirklich, etwas unbehaglich, ohne direkt gruselig zu sein. Klar ist, hier gibt es anders als bei den Persona-Abenteuern keine
Vom Gameplay her ist SMT III Nocturne ein Dungeon-Crawler mit einer großen Portion Pokémon. Die Hauptreihe von SMT besteht ja seit jeher aus Dungeon-Crawlern aus der Egoperspektive mit blockweiser Fortbewegung. Dieser Teil fällt dabei ein wenig aus dem Rahmen, da es sich diesmal um ein 3rd-Person-Game handelt. Man sieht den Helden jederzeit und kann sich nicht nur in festen Schritten in 4 Richtungen bewegen, sondern ist freier. Ein Blick auf die Karte offenbart aber, dass das mehr Schein als Sein ist. Selbst wenn Gänge sich zu winden scheinen und ungleichmäßig wirken, und man sich pixelgenau frei bewegen kann... Die Automap zeigt, dass die Areale in der Spiellogik eigentlich nach wie vor die bekannten eckigen Dungeons sind. Interessanterweise ging Atlus beim Nachfolger Shin Megami Tensei IV dann auch wieder zur klassischen Perspektive und Fortbewegung über. Nocturne als 3rd-Person-Spiel blieb bis heute die Ausnahme.
Die Dungeons sind umfangreich und mit Gimmicks gespickt, um die Abwechslung zu gewährleisten. Fast immer gibt es Eigenheiten wie Puzzles, Teleportlabyrinthe oder pechschwarze Passagen.
Wichtiger als anderswo sind in SMT-Spielen Buffs und Debuffs. Zu Deutsch: das Steigern eigener und das Senken gegnerischer Statuswerte im Kampf. Rohe Gewalt hilft hier nicht, häufig müssen Feinde beeinträchtigt oder die eigene Verteidigung erhöht werden, um Land zu sehen. Der Matador ist ja inzwischen schon ein Meme. Dieser Boss, der relativ früh im Spiel auftaucht zwang wohl bereits auf der PS2 viele Spieler zum Aufgeben. Denn an diesem Punkt erwartet das Game, dass die zur Verfügung stehenden Systeme strategisch genutzt werden.
Die verschiedenen Gebiete werden durch eine Oberwelt verbunden. Auf dieser finden selbstverständlich auch Zufallskämpfe statt. Etwas störend ist hier, dass es keine Weltkarte gibt. Und bedingt durch die Natur der Vortexwelt im Inneren einer Kugel gestaltet sich die Orientierung schwierig. Öfter als innerhalb der (oft sehr großen) Dungeons verläuft man sich auf der Oberwelt, während man den nächsten Dungeon sucht.
Rein technisch ist dieser HD Remaster wenig beeindruckend. Die ein oder andere Textur, bspw auf dem Protagonisten, ist verbessert. Aber insgesamt scheinen die Charaktermodelle und Umgebungen weitestgehend identisch zur PS2-Fassung zu sein, nur eben hochskaliert auf 1080p. Schon 2005 sah Nocturne nicht gerade eindrucksvoll aus, und heutzutage wirkt es natürlich mangels Verbesserungen noch trister. Wer letztes Jahr unzählige Male bei Persona 5 Royal in Shibuya herumspaziert ist, und nun denselben Ort in Nocturne sieht, wird sehr ernüchtert sein. Zu einem gewissen Grad mag die Detailarmut und Tristesse ein gewolltes Stilmittel sein, aber etwas mehr Aufwand hätte hier wirklich betrieben werden dürfen.
Richtig übel sind die Full Motion Videos. Einige aufwändigere Szenen waren auf der PS2 als Filme enthalten; zwar in Spielegrafik, aber wohl im Voraus aufgenommen, um die Hardware nicht zu überfordern. Diese sind auch jetzt nach wie vor Filmsequenzen, statt dass sie in Echtzeit berechnet werden. Und sie sind die Originalszenen von der PS2. Das heißt, man hat ein 4: 3 Bild mit Rahmen, und das Geschehen zeigt pixelige Grafik in Retro-Qualität.
Auch wenn man einen Ort besucht, an dem gerade nichts zu tun ist wird ein Bild aus der PS2-Version eingeblendet. Diese Dinge sind enorme Stilbrüche im Gesamtbild des HD Remasters.
Ebenfalls können zwei Dungeons heruntergeladen werden, in denen man für Erfahrung und Geld grinden kann.
Da die Dungeons im Spiel groß und Speicherpunkte manchmal weit voneinander entfernt sind, hat man die Möglichkeit, jederzeit das Game zu beenden und einen Quicksave anzulegen. Dieser speichert exakt an der Stelle, wo man aufhört, und wird nach einmaligen Laden wieder gelöscht. Sehr willkommen bei stundenlangem Herumirren in den Verliesen.
Die Texte im Spiel sind komplett in Deutsch vorhanden. Dabei ist die Übersetzung auch nicht dieselbe wie auf der PS2, das Abenteuer wurde neu lokalisiert. Die Qualität ist gut, einige wenige Fehler kann man jedoch finden. Die Sprachausgabe wurde allerdings nicht deutsch vertont.
SMT Nocturne ist ein sehr motivierender Dungeoncrawler. Die zahlreichen Dämonen zu sammeln macht Spaß, und dass die Dungeons oft mit ihren speziellen Gameplay-Elementen aufwarten, die etwas Abwechslung vom Kämpfen und Karte aufdecken bringen motiviert ungemein. Die sehr andersweltliche Atmosphäre und der Mangel an Bewohnern, mit denen man interagieren kann sind aber nicht für Jedermann. Technisch hat sich auch nicht allzuviel getan, und manche Überbleibsel der PS2-Version trüben das Bild.